Sonntag, 22. März 2015

Wechsel-Jahre



Es ist die Zeit der fünfzigsten Geburtstage. Überall Rückblicke auf ein ganzes Stück gelebtes Leben. Kinder, die wir quasi schon pränatal kannten, sind junge Erwachsene. Meine für die Eigentümergemeinschaften zuständige Bankberaterin habe ich schon als Baby herumgetragen.

Familienhunde, die gefühlt „schon immer“ da waren, sterben weg. Kleintierhaltung wird aufgegeben, die war vor allem im Kindergarten- und Grundschulalter der Kinder interessant. Die eigenen Eltern brauchen Hilfe, es dreht sich, wir haben zwar Kinder, die uns (meistens – unsere sind ja etwas anders) nicht mehr so sehr brauchen, aber gleichzeitig werden die Großeltern zum Kind. Deren Windeln kauft man nicht in der Drogerie, sondern in der Apotheke.

Wir reden über Gleitsichtbrillen, graue Haare, Haarausfall. Die Männer machen Scherze über die Frage, ob „es“ noch geht. Man schaut den eigenen Rentenbescheid mit anderen Augen an – so erschreckend kurz ist die Zeit, in der man noch etwas ansparen könnte, so bedrückend niedrig ist der Betrag, den vor allem wir Mütter oft zu erwarten haben. Andere wiederum freuen sich, sie konnten viel ansparen, das Haus ist längst abbezahlt, sie rechnen aus, ob sie früher aufhören können zu arbeiten.

Ich kaufe nächste Woche Eintrittskarten für Künstler, die 2015 auf ihre letzte Tour gehen – nach 35 Jahren hören sie auf. Ich habe sie zum ersten Mal gesehen 1991 oder so, also vor unglaublichen 24 Jahren.  Kürzlich ergab es sich, dass ich vor einer topmodernen Vespa stand, der Verkäufer, ein Mittdreißiger,  erklärte sie mir, und obwohl er, offensichtlich geübt im Umgang mit so alten Nostalgikern wie mir, dauernd betonte, dass er die alten Klassiker so liebe, bemerkte ich sofort, dass für ihn meine ehemalige Vespa wirklich nur ein Oldtimer wäre. Ist ja auch so, sie war ungefähr Baujahr 1981.

Das Bewusstsein der eigenen Endlichkeit ist ein Dauerthema im Freundes- und Bekanntenkreis. Uns läuft die Zeit davon…. Meine Nachbarin hat sich nach einer schlimmen Scheidung eine Liste geschrieben, welche Länder sie noch bereisen möchte, und sie „arbeitet“ die Liste konsequent ab. Der Göga und ich haben einige Orte auf unserer inneren Liste, die wir sehen wollen, wieder oder auch neu, auf jeden Fall aber ohne die Kinder im Schlepptau – bei aller Liebe, aber wir hatten seit zwanzig Jahren keinen Urlaub nur für uns, das muss jetzt nachgeholt werden. Ich habe sehr, sehr viele Bücher, die ich in Ruhe und konzentriert und mit Genuss lesen möchte. Ob es nach dem Tod unserer Hunde noch weitere Hunde geben wird, weiß ich noch nicht. Pferde liebe ich eigentlich auch, aber ich traue mich nicht mehr, auf so hohen Tiere zu sitzen.

Unsere Kräfte lassen spürbar nach, die harten letzten Jahre rächen sich jetzt. Wir passen aufeinander auf, und wir üben uns beide darin, NEIN zu sagen, wenn zu viele Forderungen an uns gestellt werden: NEIN, wir können diese Woche keinen Nachmittag freischaufeln für die sehr schwierig gewordene Schwiegermutter, NEIN, ich komme nicht zu meinen inzwischen sehr einsamen Eltern, NEIN, ich nehme kein weiteres Problemhaus an, und schon gar nicht zu einem Sonderpreis, NEIN, heute wird nicht gekocht, wer Hunger hat, darf sich selbst eine TK-Pizza machen, und so weiter.

So gesehen sind das unsere Wechsel-Jahre, unabhängig von Hormonen: jetzt wird es (hoffentlich) Zeit, dass wir verstärkt an UNS denken, die Schwerpunkte und die Sichtweisen haben gewechselt.

(Ob ich die Vespa kaufe oder nicht, ist noch immer nicht entschieden, aber ein neues Fahrrad gönne ich mir tatsächlich – meines ist schon ungefähr dreißig Jahre alt und vergleichsweise schwergängig, am Berg habe ich ziemlich zu kämpfen.)

Sonntag, 18. Januar 2015

Bildung ist frei - studieren kann doch jede(r)!


© DOC RABE Media - Fotolia.com




Vor sehr vielen Jahren ergab es sich, dass ich direkt nach dem Abitur Richtung Tübingen zog, um dort zu studieren. Ich hätte damals auch pendeln können, die Bahnverbindung zu meinem elterlichen Wohnort war nicht so schlecht wie heute, und natürlich wäre das finanziell viel günstiger gewesen.

Meine Eltern aber hatten mein Zimmer schon verplant, unser Verhältnis war unschön, meine Mutter zählte laut die Tage, die sie mich noch ertragen musste.

Ich gehöre zu einem der geburtenstarken Jahrgänge. Wir Erstsemester saßen auf dem Boden oder kamen gleich gar nicht mehr in den überfüllten Hörsaal. Es gab noch kein Internet, man musste sich alle Informationen sehr mühsam zusammensuchen. Ich war sehr jung, sehr erschöpft und überfordert mit einer völlig unsinnigen Studienwahl, auf Drängen meiner Eltern einer Kombination aus meinem eigentlichen Wunsch und einem „Vernunftfach“.

Meine Eltern hielten mich finanziell sehr knapp. Ich hatte keinen Anspruch auf Bafög. Ich hatte keine Ersparnisse, das Geld, das mein Opa mir immer zu Weihnachten gegeben hatte „für dein Sparbuch“, das war verschollen, und die Einnahmen der letzten Jahre (Ferienjobs und Nachhilfe) hatte ich verwendet für meinen Roller, später das Auto, die Fahrtkosten, den Führerschein und die erste eigene Waschmaschine. Ich musste also sorgfältig wirtschaften.

Natürlich wussten meine Eltern, dass sie das Studium zahlen mussten. Finanziell war das für sie nicht das geringste Problem. Aber meine Mutter war unzuverlässig – der monatliche Scheck kam oft nicht ganz pünktlich, eine Überweisung oder gar einen Dauerauftrag lehnte sie ab. Wenn ich „frech“ gewesen war beim Wochenendbesuch – und „frech“ konnte alles sein, das wusste man vorher nie – dann drohte sie damit, mir den Unterhalt zu streichen, dann könne ich gefälligst arbeiten gehen.

Ich konnte nebenbei nicht genug verdienen, um unabhängig zu sein von den Launen meiner Mutter. Meine Vermieter waren grantig, weil die Miete eben nicht immer am Monatsersten da war. Immer, wenn ich irgendwelche Materialien für das Studium kaufen musste, rechnete ich bange. Außer mir suchten sehr viele Studenten nach Geldquellen, das mit dem Jobben war nicht so einfach. Ich hatte schreckliche Zukunftsangst. Dazu kamen die typischen Erstsemesterprobleme, mir ging die Kraft aus, ich brach das Studium ab, machte eine Berufsausbildung und anschließend nebenberuflich meinen Fachwirt. Das war hart, und es entspricht inhaltlich nicht meinem Anspruch, aber dafür war ich recht schnell finanziell komplett unabhängig von meinen Eltern.

Bedingt durch diese Vorgeschichte könnte ich kotzen, wenn unter anderem in meiner angeheirateten Verwandtschaft der Akademiker behauptet, jeder hätte studieren können. ER sei eben zu seinen Eltern anständig gewesen und habe sich angepasst, das sei doch kein Problem, dann könne man daheim wohnen bleiben und „sich sein Studium finanzieren“. Stimmt, er hat noch mit vierzig im Kinderzimmer gewohnt – finanziell eine kluge Taktik, so kann man viel Geld sparen, vor allem, wenn die Mama dann auch noch dank guter Rente die kompletten Kosten übernimmt („Bub, ich kann doch sowieso nichts mit ins Grab nehmen!“). Richtig selbst finanziert ist diese Variante nicht, freie Kost und Logis macht einen erheblichen Geldwert aus.

Nun machte die große Tochter ihr Abitur und fing ein Studium an – in Tübingen. Sprachwissenschaften und natürlich nebenbei einzelne Sprachen. Ich fuhr sie damals zum Studientag und machte mir einen netten Nachmittag in Tübingen – dort, wo ich einst studiert hatte. Und es überkam mich eine große Trauer.

Meine Kinder sollen es besser haben. Sie sollen ohne finanzielle Ängste studieren können, das ist mir extrem wichtig.

Nun wohnen wir weiter weg von Tübingen als meine Eltern. Mit der Bahn muss man in jedem Fall an einem Knotenpunkt umsteigen. Ein Studium heute ist straffer organisiert, die Vorlesungen fangen teilweise ziemlich früh an, und gehen abends sehr lange. Selbst bei optimalen Bedingungen betrug die einfache Fahrtzeit für die Tochter eineinhalb Stunden.

Es klappte in den ersten beiden Semestern dank eines guten Vorlesungsplans ganz gut mit dem Pendeln. Dann aber erwischte es uns: Nach 20.00 h ist es fast unmöglich, mit öffentlichen Verkehrsmitteln hierher zu kommen. Selbst mit dem Auto steckt man morgens regelmäßig gleich mehrfach im Megastau. Zwei Stunden und mehr für eine Strecke sind heftig. Es wurde Zeit: unsere Tochter wollte ausziehen.

Nun haben wir ja drei Kinder, und verdienen sicherlich gut, aber auch nicht sensationell. Ich ging ganz naiv davon aus, dass Tochter möglicherweise kein volles Bafög bekommen würde, aber wenigstens einen gewissen Zuschuss, da beim elternabhängigen Bafög sicherlich berücksichtigt würde, dass wir höhere Kosten haben als Einzelkindeltern. Der aktuelle Bafögsatz für Studierende, die nicht mehr bei den Eltern wohnen, liegt bei monatlich € 670,00.

Der Bafögrechner ernüchterte uns schlagartig. Der Zuschuss wird so gering sein, dass man eigentlich nur weinen kann. Unsere Gesamtkosten passen durchaus zu dem Bafögsatz. Es gibt hier keine Studiengebühren mehr, aber die Semestergebühr kostet schon € 140,00, das Ticket für die Öffis, das dringend nötig ist, einiges mehr, dazu kommen Bücher, die man kaufen sollte. Miete, Nebenkosten, Essen – all das summiert sich. Gleichzeitig wurden die Studiengänge „beschleunigt“.  Unsere Tochter ist während des Semesters zeitlich völlig ausgelastet und auch während der Semesterferien beschäftigt. Nur von Ferienjobs in wenigen Wochen pro Jahr könnte sie das Studium nicht ansatzweise finanzieren.

Es wird also aufgrund unserer Einnahmen vorausgesetzt, dass wir mehrere hundert Euro pro Monat übrig haben. Falls – was theoretisch möglich wäre – im nächsten Jahr auch die zweite Tochter auswärts studieren würde, dann eben zweimal knapp siebenhundert Euro. Ist doch Kleinkram….

Ich bin mir ziemlich sicher, dass es viele Familien gibt, bei denen ein Studium an den Finanzen scheitert. Und dann fühle ich mich sozusagen stellvertretend wieder wie damals, mit neunzehn, verzweifelt und frustriert. Deshalb plädiere ich absolut für die Einführung eines elternunabhängigen Bafögs – erschreckend, dass es das immer noch nicht gibt!

Hier ein Link zur Vertiefung:



Sonntag, 4. Januar 2015

Verletzter Hundeopa






Das Jahr 2014 endete bei uns rasant. Besonders der Dezember brachte viele unangenehme Überraschungen. So auch am 30.12.:

Nachts, gegen halb drei Uhr, polterte es im Haus. Ich hörte einen Hund aufjaulen. Dann schrie meine große Tochter, ich solle sofort kommen.

Bruno, der Hundeopa, lag im Keller und konnte nicht mehr aufstehen. Offensichtlich war er bei seinen Demenzwanderungen auf der Treppe ausgerutscht und nach unten gestürzt.

Wir trugen ihn nach oben und legten ihn auf sein Kissen. Er streckte das Bein etwas aus, aber alles sah ganz normal aus. Gleich morgens rief ich unseren Tierarzt an und konnte sofort zu ihm kommen.

„Sofort“ ist relativ. Mit dem Garagenauto war der Göga bei der Arbeit. Das andere Auto wurde bereits seit Tagen heftig eingeschneit, ich musste es erst ausbuddeln. Dann wurde die mittlere Tochter damit beauftragt, Duke, den jüngeren Hund, abzulenken, damit die große Tochter und ich mit Bruno zum Auto gehen konnten – mühsam, durch den Schnee, der kurze Weg von der Haustür bis zur Straße vor zog sich.

Bruno hatte Glück. Es ist nichts gebrochen. Er bekam Spritzen und Schmerztabletten für die nächsten Tage. Auf dem Heimweg wirkten die Medikamente, er war deutlich aufgeweckter, ließ sich aber zur Haustür tragen. Alle Nachbarn wussten nun, dass wir einen Patienten daheim hatten.

Als er aber den Schnee im Garten bemerkte, kehrten die Lebensgeister zurück und er wollte unbedingt spazieren gehen. Bruno liebt Schnee, das ist sein Element. Wie man auf dem Bild sieht, ist er alt geworden, sein Fell grundsätzlich strubbelig, sein Blick oft entrückt, und ohne seine Herztabletten wäre er längst tot – aber es gibt ihn immer noch, den alten Straßenkämpfer.